Familie Varnhagen mit Kündigungsschreiben

Alzey (as) – Seit 23 Jahren schon wohnt das Seniorenehepaar Varnhagen in dem 4-Familienhaus in der Weinheimer Landstraße 76. Renoviert wurde in der Zeit so gut wie nichts, das Objekt befindet sich noch immer fast im selben Zustand, wie es in den 50er Jahren gebaut wurde – dafür stiegen aber auch die Mieten kaum – allerdings macht sich der Renovierungsrückstau durchaus bei den Nebenkosten bemerkbar.

 

Kündigung zur Vorweihnachtszeit

Doch nun wurde das Objekt verkauft.
Mit Schreiben vom 21. November 2018 teilte eine Alzeyer Anwaltskanzlei dem Renterehepaar mit, dass das Haus verkauft wurde und das Mietverhältnis zum 30. November 2019 durch den neuen Besitzer gekündigt wird.
Begründet wird dies mit dem hohen Sanierungsaufwand und dem schlechten Zustand des Objekts, welches nun abgerissen werden soll und man an derselben Stelle ab Ende 2019 mit dem Bau ein neues Wohnhauses mit 8 – 10 Mietparteien beginnen möchte.

Im gleichen Schreiben gibt man den Senioren auch zu verstehen, dass die Mieten sehr gering seien und man eigentlich gehalten wäre, in einem separaten Schreiben die Miete um 20% zu erhöhen.
Hiervon würde man jedoch Abstand nehmen, sollte das Rentnerehepaar bis spätestens 31.12.2018 schriftlich erklären, dass sie die Mietbeendigung akzeptieren.
Eine ähnlich lautende Kündigung ging auch den weiteren 2 Rentnerpaaren zu, die im selben 4 Parteienhaus wohnen. (Kündigungsschreiben liegt der Alzeyer-Zeitung vor).

Elke Varnhagen war völlig aufgelöst als das Schreiben kam: „Wir haben 3 Kinder und 7 Enkelkinder, eigentlich wollten wir unsere Energie und Geld in diese stecken, nicht in den Stress einer Wohnungssuche und den Kosten eines Umzugs“ erzählte sie der Alzeyer-Zeitung.

Ein Bekannter habe in den sozialen Medien über all´dies aufmerksam gemacht, u.a. wurde vermutet, dass das Bauamt wohl schon das OK für eine Ausnahmegenehmigung gegeben haben soll.

Bebauungsplan lässt Neubau in der jetzigen Form nicht zu

Zu dem Vorgang: Am 15.06.2018 ging bei der Stadtverwaltung eine Bauvoranfrage vom neuen Besitzer, einem Mainzer Investor (dessen Kauf des Objekts zum 20.06.2018 notariell beurkundeet wurde) ein.
Für das Gebiet um das Anwesen Weinheimer Landstr. 76 gilt noch ein Bebauungsplan, welches eine maximal bebaubare Grundfläche von 0,25 zulässt (also max. 25% der Gesamtfläche darf überbaut werden).
Der Entwurf des neuen Hauses sieht jedoch laut Aussage des Fachbereichs Bauen und Umwelt der Stadtverwaltung Alzey eine 40%ige Überbauung vor.
Seitens der Stadt wurde der Antrag daher mit diesem Hinweis ablehnend an die Kreisverwaltung weiter geleitet.
Herr Molter von der Kreisverwaltung Alzey-Worms teilte gegenüber der Alzeyer-Zeitung mit, dass der neue Besitzer zunächst ein „Ruhen des Verfahrens“ bis April 2019 beantragt habe.

Ausnahmegenehmigung für anderes Bauprojekt im selben Bebauungsplan

Grund für diesen Antrag dürfte eine Unterredung mit dem Alzeyer Stadtbürgermeister Christoph Burkhard vor wenigen Wochen gewesen sein.
Hier wurde dem neuen Investor bei einem Sprechstundengespräch (Vorgespräch) im Beisein einer Stadtplanerin erklärt, dass eine größere Bebauung nur dann möglich sei, wenn der Bebauungsplan geändert werden würde.
Hier bat Burkhard jedoch um Geduld, da die Verwaltung –trotz Verdoppelung der Stellen in der Stadtplanungsabteilung- wegen zu vieler zeitgleicher Bebauungsplanverfahren („B-Plan“) nicht noch einen weiteren B-Plan angehen kann. Hierzu fehle es derzeit schlicht an personellen Ressourcen. Man vertröstete ihn daher zu einem späteren Termin, man hat sich daraufhin auch geeinigt.

Nun wurde am Donnerstag, 22.11.2018 für das Nachbargrundstück „Am Roten Tor“ durch den Bauausschuss -entgegen der Verwaltungsempfehlung- mehrheitlich der Beschluss gefasst, das dort größer gebaut werden darf, als der derzeit gültige Bebauungsplan es vorsieht.
Das aktuell brach liegende Gelände soll von einem Alzeyer Gastronomen, gemeinsam mit einem Alzeyer Bauunternehmer mit einem Mehrfamilienhaus bebaut werden.

Auf dem Grundstück „Am Roten Tor“ darf demnächst gößer gebaut werden, als es der derzeit gültige Bebauungsplan vorsieht

Stadtbürgermeister von Bauausschuss überstimmt

Stadtbürgermeister Burkhard äußerte seine Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass wenn nun eine größere Bebauung „Am Roten Tor“ in Bezug geänderter Grundflächenzahl möglich ist, es schwierig sein dürfte, es im gleichen B-Plangebiet Weinheimer Landstr. 76 abzuweisen.
Zudem gibt es umliegend zahlreiche weitere Objekte bzw. Grundstücke, denen ähnliche Schicksale drohen könnten.
Der Bauausschuss blieb dennoch bei seiner Haltung.

Mainzer Investor von der Reaktion überrascht

Im Gespräch mit der Alzeyer-Zeitung zeigte sich der Mainzer Investor völlig überrascht.
„Es wird doch auch um Himmels Willen keiner von uns auf die Straße gesetzt“, so der neue Besitzer „der Kauf wurde am 20.06.2018 getätigt, allerdings erfolgte die Umschreibung im Grundbuch erst vor ca. 2 Wochen, daher konnten wir rein rechtlich die Vermieter nicht vorher darüber informieren.“
Der neue Eigentümer fand es zudem sehr schade, dass gerade Herr Varnhagen, der im Haus „ein bisschen als Hausmeister“ tätig ist, ihn gestern nicht angesprochen habe auf das Schreiben, da man vor Ort war und etwaige Fragen direkt hätte beantworten können.
„Wir werden in jedem Fall eine friedliche Lösung finden, wir sind auch gerne bei der Beschaffung und Suche einer neuen, barrierefreien Wohnung behilflich und würden hier supportiv tätig werden, wir vermieten und bauen ja selbst hier in Alzey.“ versicherte der Investor.
Die Kündigung an sich betrachtet er als „rein formellen Akt, um Fristen einzuhalten, aber in keinem Fall wird einer auf der Straße landen“

Neuer Wohnraum ist wichtig für Alzey

„Alzey hat definitiv Bedarf nach neuen Wohnraum“ erklärt Christoph Burkhard gegenüber der Alzeyer-Zeitung, „jeder von uns will für sich mehr Wohnraum als in den 60er Jahren, und für Rheinhessen und damit auch Alzey gilt: Wir haben Zuzugsdruck!“

Es bedarf also eines größeren bedarfsgerechten Wohnraumangebots!

„Dies erreicht man durch Neubaugebiete und Nachverdichtungen, hier ist die Verwaltung dran und andere Möglichkeiten der Wohnraumbeschaffung kenne ich nicht.“ so der Stadtbürgermeister, der sich auch generell eine größere Grundflächenzahl für dieses Gebiet vorstellen kann: „In ´Allgemeinen Wohngebieten´ ist eine Grundflächenzahl von 0,4 heute gängig, d.h. von einem Grundstück darf man 40 % überbauen. Perspektivisch sehe ich durchaus auch in diesem Gebiet die 0,33 bis 0,4“