Oberbürgermeister Thomas Feser setzt sich für einen starken Tourismus in Bingen ein Quelle: Stadt Bingen

Bingen (sm)- Oberbürgermeister Thomas Feser sprach im Interview mit der in Bingen ansässigen Tourexpi GmbH über die Gegenwart und die Zukunft des Tourismus am „Tor zum Oberen Mittelrheintal“ und am Schnittpunkt von vier weltberühmten Weinbaugebieten.

Dabei gab der Oberbürgermeister offen Auskunft über sein Engagement für den Fremdenverkehr.

Tourexpi: Wie steht es um den Fremdenverehr in Bingen?

Thomas Feser: Ich sehe den Tourismus in Bingen als eine Schwerpunktaufgabe unserer Stadt. Sie wissen ja, dass unsere Stadt durch die geographische Lage in einer der schönsten Lagen am Rhein liegt, und wenn man dann noch in die Geschichte schaut, ich nenne nur das Stichwort „Rheinromantik“, und dann weiß man auch wie hochwertig diese ganze Gegend eingeschätzt wird.

Ich sehe für die Zukunft in unserer Stadt einen absoluten Schwerpunkt im touristischen Handeln und dem touristischen Angebot. Wir hatten ja leider Gottes in den 80er und 90er Jahren einen großen Aderlass an Unternehmen hier bei uns in der Stadt, weil gerade die weinproduzierenden Unternehmen sich zurückgenommen haben, Scharlachberg, Racke Rauchzart, ebenso Schneider-Texier. Wir haben also festgestellt, dass diese Branche, obwohl wir natürlich auch weiter vom Wein leben, nicht mehr die erste Priorität ist.

Aber durch unsere Lage und die vier Weinanbaugebiete, die sich hier in Bingen treffen, mit den zwei Flüssen und der Sichtachse ins Mittelrheintal, wo das Weltkulturerbe im Mittelpunkt steht, auch mit dem Binger Wald, der ein Naherholungsgebiet darstellt, auch mit unserem Park am Mäuseturm, der seit der Landesgartenschau sehr gut angenommen worden ist und sich gut präsentiert, sehe ich eine Wertschöpfung, die es zu heben gilt. Deshalb finde ich alles gut, was uns diesem Ziel näherbringt.

Tourexpi: Welche konkreten Pläne haben Sie denn, um die touristische Infrastruktur von Bingen weiter auszubauen?

Thomas Feser: Zum einen bin ich sehr froh, dass wir jetzt ein weiteres Hotel haben, das Hotel „Papa Rhein“. Mit Unterstützung von meiner Seite und auch von meinem persönlichen Referenten Jürgen Port ist es gelungen, die Familie Bolland für unseren Standort zu begeistern. Wir haben es gegen sehr schwierige politische Widrigkeiten durchgesetzt, dass dieses Hotel jetzt da unten steht. Dazu brauchten wir einen langen Atem, auch der Investor brauchte einen langen Atem. Ich war froh, dass Herr Bolland das auch mit durchgetragen hat.

Das war nicht immer einfach, er war manchmal nahe dran, die Zelte abzubrechen, weil die politischen Umstände nicht so positiv waren. Es gab keine Struktur, die den Investor willkommen geheißen hätte, das Projekt ist von einigen im Stadtrat sehr kritisch und teilweise auch sehr überzogen kritisch begleitet worden. Aber sei es drum, das Hotel ist jetzt da, und das zeigt jetzt schon, dass dies der richtige Ansatz ist, dass wir noch ein weiteres Hotel oder auch andere Übernachtungsmöglichkeiten brauchen, damit wir den Kurzzeit-Tourismus intensivieren können.

Dazu zählt auch die Region, da zählt nicht nur alleine die Stadt Bingen, sondern auch der Rheingau dazu, mit Rüdesheim, Lorch und anderen Orten. Dazu zählt auch die verkehrsgünstige Lage unserer Stadt, weil man als Gast sehr schnell zu uns kommen kann. Wir haben ein tolles Kulturufer von 2,8 Kilometern Länge, an dem man den Rhein genießen und Kultur erleben kann. Die Schifffahrt spielt dabei auch eine Rolle, und natürlich unser spezifisches Produkt, der Wein.

Dazu gehört auch die Tatsache, dass es nirgendwo einen anderen Ort gibt, an dem vier Weinanbaugebiete aneinandergrenzen. Und das ist schon einmal ein Alleinstellungsmerkmal an sich. Die Weinkenner können es auch gut herausschmecken, wo der Wein herkommt, ob er aus dem Rheingau ist, aus dem Mittelrheintal, von der Nahe oder aus Rheinhessen. Jeder hat sein Spezifikum. Das ist eine Grundlage, auf der sich der Tourismus gut entfalten kann, sodass er in einem touristischen Verständnis mit Angeboten, mit Festen und mit Veranstaltungen einiges bewegen kann.

Tourexpi: Gibt es denn konkrete Vorstellungen oder auch Projekte, mit denen man Touristen nach Bingen ziehen kann?

Thomas Feser: Wir haben ja jetzt schon eine sehr große Palette an Veranstaltungen, die natürlich dieses Jahr aufgrund der Corona-Pandemie ausgefallen sind. Aber ich kann mir trotzdem vorstellen, dass Fahrrad-Tourismus geeignet ist, für den gerade der rheinhessische Teil bei uns sehr viele Möglichkeiten bietet.

Ich sehe aber auch den Wald als ein touristisches Highlight. Wir haben drei Forsthäuser, die noch in Betrieb sind, die werden bewirtschaftet, in einem der Forsthäuser kann man sogar übernachten. Wir haben einen Kletterwald, wir haben eine Villa Rustica, also eine Sehenswürdigkeit aus der Römerzeit, die man erleben kann, wir haben einen Waldlehrpfad, der vor allem Kinder anspricht, so dass die Kinder lernen können, was ein Wald alles mit sich bringt, auch an Wildtieren. Also das ist wirklich schon einmal ein Spezifikum als solches. Als Tagestourist kann man hier also viel erleben.

Des Weiteren sehe ich die Möglichkeit, die Städtepartnerschaften, die wir aufbauend auf der deutschen Geschichte schon seit langem haben, mit Prizren im Kosovo, mit Hitchin in England, mit Venarey-Les Laumes und Nuits-Saint-Georges Frankreich, mit Kutná Hora in Tschechien, Anamur in der Türkei und auch mit der Provinz Verona in Italien, zu intensivieren. Diese Städtepartnerschaften spielen bei uns eine sehr große Rolle. Das ging aus vom zweiten Weltkrieg, der anschließenden Neuordnung von Europa, und obwohl das lange her ist, halte ich es doch für gut und machbar, auch in diesem Bereich der internationalen Beziehungen Bingen auch in den Blick zu nehmen.

Wir sind ohnehin international. Ich zitiere jetzt mal Carl Zuckmayer: „Der Rhein ist die Völkermühle, die Kelter Europas!“ Wir spüren auch bei uns in der Lebensmentalität in Rheinhessen, dass hier schon alle Völker hindurchgezogen sind, sodass wir seit jeher sehr europäisch geprägt sind. Und darauf können wir natürlich auch aufbauen. Ich sehe Bingen als ein kleines, überschaubares Mittelzentrum an, als eine sympathische Landgemeinde, und das ist ein Punkt, für den man noch verschiedene Dinge anregen kann.

Tourexpi: Gibt es Partner in der Region, vielleicht auch in der weiteren Umgebung, mit denen man in Zukunft auch in touristischer Hinsicht zusammenarbeiten möchte? Beispielsweise die Rheinhessen Touristik GmbH?

Thomas Feser: Das fängt ja mit der Rheinhessen Touristik GmbH an, das meinen Sie ja. Die sind ja im Landkreis Mainz-Bingen, zu dem wir auch gehören, und da sind wir ganz eng verbandelt. Und gerade der Rheinhessen-Wein ist eine Facette des touristischen Aufschlags, und die dazugehörige Vermarktungsorganisation steht ja auch finanziell sehr gut da. Wir kooperieren aber auch mit Mainz, mit Worms, mit Ingelheim, auch mit dem Landkreis Alzey-Worms, und da gehört zum Beispiel der Fahrrad-Tourismus mit dazu. Das ist eine Besonderheit an unseren Flüssen, Rhein und Nahe, weil es dort sehr flach ist. Für Leute, die sich gut mit dem Fahrrad bewegen können, ist das sehr gut.

Ich sehe aber auch Partner in der Gastronomie und Hotellerie. Durch das neue Hotel „Papa Rhein“ sehe ich jetzt einen Fortschritt von der Familie Bolland, die ja doch im touristischen Bereich gut aufgestellt ist. Und da erhoffe ich mir auch, dass man gemeinsam mit der Gastronomie am Rheinufer und auch mit den Hotels, und da gehört die Familie Bolland auch dazu, überlegt, welche Angebote man zusammen macht. Da gehört natürlich der Wein als Schwerpunkt mit dazu, aber da gehört auch die Kulinarik mit dazu, regionale Produkte, regionales Angebot an Speisen, sodass man sich hier noch mehr spezialisiert und auch weiter perfektioniert. Da haben wir noch einiges zu tun. Ich sehe das auch für den Mittelrhein, und auch für die Nahe. Es gibt da kleine Leuchttürme, die das bereits praktizieren, und das auszuweiten und auch im Bewusstsein zu verbreitern, das ist die große Herausforderung.

Dazu gehört aber auch Hildegard von Bingen, als wichtigste Persönlichkeit in unserer Stadt, weil sie ja gerade die Lebensart, die Verbundenheit mit der Natur, und auch die Kräuterkunde, auch das Verständnis davon, dass Wein auch heilend wirksam sein kann, der philosophische Ansatz der Ganzheitlichkeit, der ja so ungemein aktuell ist, bis hin zur theologischen Ausrichtung, bereits zu ihren Lebzeiten in den Focus gerückt hat. Das reicht hin bis zur Musik, die sie im hohen Mittelalter ganz maßgeblich mitgeprägt hat. Auch das ist ein wertvolles Kennzeichen unserer Stadt, dass wir diese Persönlichkeit mit diesen vielfältigen Facetten auch für uns nutzen können. Wir können also mit den Musikschulen, dem Einzelhandel, mit der Gastronomie und auch im Gesundheitsbereich Angebote machen, und dabei auch den ganzheitlichen Ansatz berücksichtigen, gerade im letzten Bereich.

Tourexpi: Von dieser großen Vision noch einmal zurück zu der kleineren: Glauben Sie, dass das neue Hotel „Papa Rhein“ auch Gäste von Flusskreuzfahrten nach Bingen ziehen wird? Ist das auch eine Möglichkeit, den Fremdenverkehr in Bingen noch mehr aufleben zu lassen?

Thomas Feser: Das ist ja eigentlich mein Wunsch, dass das gelingt. Flusskreuzfahrten weiß ich nicht, weil die ja meistens ihr eigenes Hotel im Schiff integriert haben. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass es Tagesfahrten geben kann, die vom „Papa Rhein“ aus starten, und dass das Ambiente des Hotels und auch das Angebot viele anzieht. Das Hotel hat eine tolle Lage, die Küche wird von einem Zwei-Sterne-Koch geleitet, man hat tolle Weine vom VDP, und ich kann mir auch da vorstellen, dass man einmal ein Wochenende macht, so wie wir das schon einmal um die Burg herum gemacht haben, sodass wir eine ganz andere Zielgruppe ansprechen. Diese hochklassige Zielgruppe kann dann das Ambiente, den Rhein, die Umgebung und auch die Burg erleben. Da sehe ich schon viel Potenzial, das durch die Qualität des Hotels deutlich erhöht wird.

Tourexpi: Es war zu hören, dass auch die Gründung einer Tourismus GmbH Bingen in Planung steht. Können Sie uns darüber Auskunft geben?

Thomas Feser: Die GmbH ist bereits gegründet. Das war möglich, weil wir alle im Stadtrat erkannt haben, dass der Tourismus ein zukunftsorientierter Sektor ist, der Möglichkeiten bietet. Wir haben vor allem erkannt, dass man seine Entwicklung auch außerhalb des Stadtrats permanent betreuen und vor allem auch schnell reagieren muss. Sodass auch Möglichkeiten der Vergabe durch die GmbH schneller realisiert werden können, als dies bei einem klassischen Ausschuss möglich wäre. Wir haben auch das Thema Stadtmarketing mit darin aufgenommen.

Uns ist es ganz klar bewusst, dass wir die Stadt umgestalten müssen. Es wird nicht mehr so sein, dass jedes Geschäft gefüllt wird. Deshalb müssen wir mit den Eigentümern überlegen, ob man Wohnraum schafft, ob man Begegnungsmöglichkeiten schafft, ob man z. B. Ausstellungsräume schafft. Die Schaffung von Wohnraum ist noch nicht in unserer Satzung verankert, aber über solche Dinge müssen wir nachdenken. Das betrifft auch den Tourismus, denn der Tourismus lebt, wenn auch die Stadt lebt. Und die Stadt wiederum lebt, wenn Menschen zusammenkommen. Einkaufen sollte auch nicht nur Einkaufen heißen, sondern auch bedeuten, dass man Erlebnisse hat. Da müssen sich sowohl die Einzelhändler als auch der Aufsichtsrat, aber auch die Touristiker Gedanken machen, wie wir den Erlebnischarakter der Stadt gemeinschaftlich heben können. Das ist ein dickes Brett, das wir da bohren, aber ich denke, es lohnt sich.

Wir haben sehr viele Sehenswürdigkeiten, dazu gehören die Burg Klopp, der dazugehörige Burggraben, der Binger Mäuseturm, ebenso Hildegard von Bingen und dazu gehört auch der im Stadtteil Büdesheim geborene Lyriker Stefan George. Jemand, der sich mit Literatur auskennt, weiß, dass Stefan George einer der größten Dichter Deutschlands war und auch in der Schweiz eine große Rolle spielt. Diesen Lyriker als Menschen zu präsentieren, lohnt sich. In Bezug auf diese Vorstellungen erhoffe ich mir von der GmbH zeitnah und direkt reagieren zu können, anstelle im Ablauf einer kommunalpolitischen Entscheidungssituation zu reagieren. Das ist ein Vorteil, von dem ich mir verspreche, dass da etwas entstehen könnte.

Tourexpi: Wir leiden alle unter den Auswirkungen der Corona-Epidemie. Darunter leidet natürlich vor allem auch der Tourismus. Es gibt aber auch viele Leute, die sich Gedanken machen und sagen, dass das vielleicht auch eine Chance in sich birgt, den Tourismus neu zu verstehen. Sehen Sie für Bingen Chancen, sich in der „neuen Normalität“ eventuell besser zu positionieren?

Thomas Feser: Ich sehe in jeder Krise auch eine Chance. Das gilt sowohl persönlich als auch für den öffentlichen und politischen Bereich. Ich sehe nicht schwarz, und kann mir auch keine negativen Szenarien vorstellen. Corona hat sehr deutlich gemacht, dass wir hier eine Fragestellung haben, die aber eigentlich nicht neu ist. Die Mittelzentren und Oberzentren haben schon vor Corona eine wichtige Herausforderung gehabt, nämlich die Innenstadt zu füllen. Das Internet war schon vorher eine große Konkurrenz. Wenn man weiß, welche Angebote die Innenstadt bietet, das sind es vor allem Franchiseunternehmen, die es so überall gibt. Es gab zu wenig Regionales, deshalb sehe ich eine Chance darin, die „Regionalität“ in den Blick zu nehmen.

Ich sehe auch die Notwendigkeit, die Innenstadt mehr als bisher bereits geschehen, zu einem Veranstaltungsort zu machen, sodass mehr Begegnungen stattfinden. Corona hat uns auch gezeigt, wie nötig es ist, dass die Menschen zusammenkommen. Ein weiterer Punkt ist, dass wir die Künstler, die wir hier regional haben, Maler/-innen, Graphiker/-innen, Bildhauer/-innen, auch mehr in den Blickpunkt stellen müssen. Wir müssen den Bürgern bewusstmachen, was da eigentlich alles vorhanden ist. Wir müssen diesen Künstlern auch einen Raum geben, sich zu präsentieren. Man könnte den Leerstand in der Innenstadt auch dazu nutzen, Galerien und Ausstellungsräume zu schaffen.

Mobilität ist eine riesengroße Herausforderung für die Zukunft. Ich gehe davon aus, dass hier ein großer Wandel stattfinden wird. Das Fahrrad wird deutlich mehr in den Mittelpunkt gestellt werden, auch bei uns, obwohl unsere Stadt und das rheinhessische Hügelland da topographisch nicht gerade auf Rosen gebettet ist, denn bei uns geht es hoch und runter, aber auch durch die E-Bikes wird das zunehmend mehr in den Fokus kommen. Die Zahl der Leute, die zu Fuß in die Stadt kommen, wird ebenfalls ansteigen, es ist ja fußläufig alles gut erreichbar. Ich sehe da weniger die Notwendigkeit, die öffentlichen Verkehrsmittel weiter auszubauen, sondern eher das Fahrrad als Fortbewegungsmittel. Wir sehen es ja unten am Rhein, da herrscht schon jetzt ein immenser Fahrradtourismus. Das Problem ist, dass die Innenstadt dafür nun auch die Rahmenbedingungen schaffen muss.

Kurzum, ich sehe in jeder Krise eine Chance. Wir müssen uns aber auch im Klaren darüber sein, dass das nicht von heute auf morgen gehen kann, wir müssen wissen, dass wir mit Ideen durch dieses Tal hindurch müssen, aber wir müssen uns auch klar darüber sein, dass Nachhaltigkeit ein Thema ist, Regionalität ist ein Thema, und die Alleinstellungsmerkmale von Bingen sind ein weiteres Thema. Nehmen wir diese drei Begriffe in den Blick, und schauen, was wir da jetzt konzeptionell und gemeinschaftlich mit Veranstaltungen einerseits, mit regionalen Produkten andererseits, und natürlich auch mit Dienstleistungen erreichen können.

Ich habe kein Problem damit, dass wir auch einen Bring- und Holservice organisieren. Dann können die Leute etwas bei einem Geschäft bestellen, und es wird nachhause gebracht. Das wird in Zukunft immer mehr der Fall sein. Die Leute haben durch die Coronakrise nun erfahren, dass das funktioniert, und es ist nun die Herausforderung für die Zukunft, dass sich nun auch der Mittelstand im kleineren Bereich überlegen muss, wie man das hinkriegt. Da gehört auch die Stadt mit dazu. Ich verschließe mich dieser Diskussion in keinem Fall. Wie können wir da vielleicht auch unterstützend mithelfen? Diese Diskussion wird kommen, es wird Veränderungen geben, aber das wird nicht der Untergang des Abendlandes sein.

Tourexpi: Eine spontane Anschlussfrage wegen der Erwähnung der Fahrräder und der Infrastruktur – ist es nicht so, dass gerade hier und im Bereich des Mittleren Rheintals die Eisenbahnstrecken beiderseits des Rheins ein großes Problem darstellen?

Thomas Feser: Es ist ein Problem mit der Bundesbahn, und dabei geht es nicht einmal um den Personenverkehr, wenn der im Mittelpunkt stehen würde, wäre ich froh. Das Problem ist der Güterverkehr.

Tourexpi: Das hat auf der anderen Seite auch ein wenig den Charme einer Modelleisenbahnlandschaft…

Thomas Feser: …sicherlich, dass kennen wir auch alle aus unserer Kindheit und haben es selbst gebaut. Es war in den dreißiger Jahren auch eine wichtige Infrastrukturmaßnahme, die ihre Berechtigung hatte. Aber wir müssen nun feststellen, und das ist es, was mich bedrückt, es ist leider kein Personenverkehr, sondern es geht vor allem um Logistik. Es ist die Hauptverkehrsader quer durch Europa, von Genua bis nach Rotterdam. Das ist die Problematik, und da stoßen wir als kleine Kommunalpolitiker in Berlin immer an unsere Grenzen. Und da ist es auch ganz gleich, wer gerade in Berlin regiert, da können die Grünen die Mehrheit haben, die FDP, oder wer auch immer: Es interessiert keinen, weil es eine klare bewusste Entscheidung in Berlin war, dort die Logistik abzuwickeln.

Alles muss auf die Bahn, und das wird jetzt, wenn die Bauarbeiten fertig sind, auch noch massiv zunehmen. Das gesamte Mittlere Rheintal wird vom Lärm fast erstickt, aber das interessiert niemanden, weil das Mittelrheintal dünn besiedelt ist. Hier bei uns am Anfang geht das ja noch, aber im engeren Abschnitt des Tals bei Bacharach oder Oberwesel, nimmt das erschreckende Züge an. Es ist in der Mehrzahl Güterverkehr, und, wenn man die Wertschätzung des Mittelrheintals erhöhen will, muss man sich schon über kurz oder lang Gedanken machen. Wenn man das Prädikat „UNESCO Weltkulturerbe“ in den Mittelpunkt stellt, kann das eigentlich nicht so bleiben. So war das auch nie gewollt. Damals war es eine reine Investition in eine Verkehrsmittelinfrastruktur, die auch gut war, es war ein Kreisverkehr auf der einen und der anderen Seite, das war absolut gut durchdacht.

Wenn wir über Touristik, Erleben und Wertschätzung sprechen, dann ist das nicht die Lösung, wenn dort auch der Güterverkehr rollt. Ich bedauere es, dass das in Berlin, und ich betone nochmal, bei allen Parteien, niemanden interessiert, weil hier nur ungefähr 50.000 Menschen leben, von Bingen bis nach Koblenz.

Tourexpi: Wenn man sich die Mosel betrachtet, an der der Fremdenverkehr viel besser läuft, dann merkt man, dass das Einzugsgebiet bis in die Benelux-Länder und sogar nach Großbritannien reicht. Das heißt doch, dass man nicht nur an die ansässigen 50.000 Menschen denken muss, sondern auch an die Hunderttausende, die das Mittlere Rheintal zur Erholung nutzen könnten.

Thomas Feser: Da gebe ich Ihnen vollkommen Recht. Aber leider Gottes passiert das nicht. Ich bin lange genug im Geschäft, dass ich Ihnen ehrlich sagen kann: Ich sehe da nicht die Offenheit, über wirkliche Probleme und Fragestellungen zu reden. Es wird leider nicht versucht, ein langfristiges Konzept zu erarbeiten, das dieser Wertstellung, die ja auch durch die Bundesgartenschau zum Ausdruck gebracht werden soll, entspricht. Die Bundesgartenschau soll ja gerade deutlich machen, dass dieses Stück Land absolut hohe Priorität hat und wertvoll ist. Dass es auch Geschichte hat und in sich eine gewachsene und geschlossene Struktur ist. Ich hoffe, dass diese Bundesgartenschau 2029 wirklich die gewünschte Wirkung hat, sodass das Verständnis für diese Region noch mehr in den Brennpunkt gestellt wird.

Tourexpi: Können Sie sich kreative Lösungen für das Problem vorstellen?

Thomas Feser: Ich kann mir zum einen großzügige Unterführungen vorstellen, an Stellen, wo das möglich ist. Ich kann mir auch Tunnellösungen vorstellen, die natürlich eine sehr hohe Investition erfordern. Ich weiß, dass diese Überlegungen ja in Oberwesel bestanden. Die große Lösung, bei der die Kurven des Rheins von Koblenz bis Bingen abgeschnitten werden sollen, wurde im Verkehrsausschuss der Bundesregierung zerschlagen. Für Oberwesel wurde ein Tunnel vorgeschlagen, der von St. Goar bis Oberwesel reichen sollte, Kostenpunkt 1,8 Mrd. Euro. Das wurde aber nicht ausgeführt, weil man auf die ganz große Idee kam, einen Tunnel zu planen, der von Wiesbaden bis Bonn gehen soll. Über diesen Tunnel soll dann der Güterverkehr gehen. Das ist in den Bundesverkehrswegeplan 2030 als Planungsprojekt eingepreist.

Das soll die Lösung für das Mittelrheintal bringen, weil dann nur noch der Personenverkehr dortbleiben wird. Denn der Personen-Eisenbahnverkehr im Mittelrheintal ist natürlich ein Teil der Romantik. Wenn man hier wie ich täglich im Tal unterwegs ist, dann sieht man unzählige Fotografen, die an der Strecke stehen und Aufnahmen machen. Wenn Sie dem Mittelrheintal die Bahn ganz wegnehmen würden, dann wäre das auch das falsche Signal. Es geht also darum, den Güterverkehr herauszuholen, und den Personenverkehr zu belassen. Es gibt aber auch jetzt schon viele Maßnahmen, mit denen wenigstens der Lärm gemindert wird. Wir haben da Schienenabsorber, drei verschiedene Sorten von Schallschutzwänden an den Geleisen, man könnte die Bahn auch über manche Strecken hinweg einhausen, das scheitert aber oft an Mitteln, die von Berlin nicht zur Verfügung gestellt werden. Mittelfristig kann uns aber schon viel geholfen werden, wenn die Bahn leiser gemacht wird, und das hilft auch dem Tourismus.

Tourexpi: Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!

(Quelle: Stadtverwaltung Bingen)